Zeiten der Leidenschaft by Shana Abé

Autor:Shana Abé [Abé, Shana]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Contemporary
ISBN: 9783955305536
Barnesnoble:
Herausgeber: Edel:eBooks
veröffentlicht: 2014-09-11T22:00:00+00:00

Che hatte den Zustand der Straßen, das Wetter und die Leute völlig falsch eingeschätzt. Er hatte gedacht, er könnte dem Grafen von Kell bis in sein kleines Reich folgen, sich unbemerkt als Zigeuner oder als Dienstbote verkleidet einschleichen und dann genauso unbemerkt wieder verschwinden. Johnson hatte einen weiteren Teil der Zahlung getätigt – die Hälfte davon war auf Leilas geheimes Konto geflossen – und Che war wild entschlossen, den Auftrag so schnell wie möglich zu erledigen.

Leila hatte sich ausgerechnet, dass sie nur noch eine weitere Zahlung benötigte. Sogar weniger würde reichen. Sie könnte Johnson erzählen, dass sie zur Deckung von Ausgaben nötig sei. Und dann könnte sie in den samtigen Bergen Englands oder Schottlands oder in Wales verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Doch El Mano hatte weder mit dem Unwetter gerechnet noch damit, dass sie ihrer Beute so dicht auf den Fersen waren. Und er hatte auch nicht erwartet, dass der Graf selber zu ihrer Rettung herbeieilen würde – allein Ches Miene, als er Keils ansichtig wurde, hatte sie zum Lachen gereizt. Aber im Grunde war es überhaupt nicht witzig, denn natürlich war auch nicht damit zu rechnen gewesen, dass das Unheil zuschlagen und ihre Kutsche in Stücke geschlagen werden würde.

Sie saßen nun wirklich in dieser winzig kleinen Gastwirtschaft als Don und Doña fest, während der Wind draußen heulte, der Schnee immer dichter fiel, und der Graf und seine Männer sich an der Bar leise miteinander unterhielten. Sie wünschte, sie wüsste, ob er über sie redete.

Wahrscheinlich nicht. Bestimmt nicht. Warum sollte er?

Die ganze Gastwirtschaft war voller Menschen. Die Witwe und die verletzte Glynis waren beide in den Zimmern des Hausbesitzers untergebracht worden und wurden nun vom örtlichen Arzt betreut. Aber die restlichen Gäste wurden nicht so verwöhnt. Es gab Essen und ein Dach über dem Kopf, aber sonst nicht viel mehr.

Leila saß mit Che und drei anderen auf Stühlen im Kreis vor dem Kamin, wobei sie versuchte, ihre Zehen so diskret wie möglich zu wärmen. Ihre ruinierten Röcke dampften durch die Hitze, und das Haar hing ihr immer noch über den Rücken. Ihre Perücke und ihr Lieblingshut waren zurückgeblieben, denn durch den Unfall waren sie hoffnungslos zerdrückt worden.

Che warf ihr immer wieder kurze, gereizte Blicke zu. Sie wusste, dass er dringend mit ihr reden wollte, doch die Beengtheit des Raumes machte ein Gespräch unter vier Augen unmöglich. Und eigentlich gab es auch keine gute Entschuldigung, warum sie bei einem Schneesturm das Haus hätten verlassen wollen – davon abgesehen hätte sie ohnehin keine Lust gehabt, wieder im Schnee herumzustapfen. Es ärgerte ihn, dass sie warten mussten, und ihr bereitete das so etwas wie Schadenfreude.

Er hatte ihre schnell erfundene Lüge vom Kaffeehaus bereits aufgegriffen und eine Geschichte gesponnen, die aus Halbwahrheiten und reinen Erfindungen bestand, als er den anderen von der Kette von Missgeschicken erzählte, die ihnen zugestoßen waren: Ihre eigene Kutsche sei nach Dumfries im Morast stecken geblieben – wahr –, sie hätten eine kranke Zofe in Carlisle zurückgelassen – gelogen –, der Kammerdiener des Dons sei auch gleich dort geblieben

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